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Peter Dietrich †​​


Peter DietrichAm 23.4.2022 verstarb der langjährige Aufsichtsratsvorsitzende des fib e.V. Peter Dietrich nach langer schwerer Krankheit. Peter Dietrich hat die Geschicke des Vereins lange begleitet und mitgestaltet.Wir veröffentlichen im Folgenden einen Nachruf:



Nachruf für Peter Dietrich 27.1.1946 - 23.4.2022

Wir trauern um Peter Dietrich, der nach langer und schwerer Erkrankung in der Nacht vom 23.4.2022 verstorben ist.

Peter Dietrich gehörte zu einer Generation, die sich ein selbstbestimmtes Leben gegen viele Widerstände erkämpfen musste. Er hat als beeindruckende und liebenswerte Persönlichkeit für seine Lebensleistung von vielen Seiten Anerkennung und Respekt erhalten.

Peter Dietrich hat eine bewegte Vergangenheit aufzuweisen und alle Zumutungen und Untiefen durchschritten, die einem Menschen aufgrund seiner Beeinträchtigung begegnen können.

Aufgewachsen ist er in Gensungen bei seiner Großmutter. Seine starke Sehbeeinträchtigung spielte für ihn selbst keine besondere Rolle, konnte er doch alle alltäglichen Anforderungen und auch die Schule dank intelligenter Lösungen stets bewältigen. Allerdings nur, bis er im zweiten Schuljahr zum Wechsel in die Blindenschule nach Friedberg gezwungen wurde – die Behörden ließen ihm keine Wahl. Bis er dreizehn Jahre alt wurde, war er dort – nach einer schweren Krankheit wurde er querschnittgelähmt, konnte mangels Barrierefreiheit des Hauses nicht mehr bleiben und lebte fortan wieder bei der Oma in Gensungen, im 1. Stock, ohne Rollstuhl und schlug sich so durch.

Ausgerechnet ein Heim für gelähmte Kriegsbeschädigte sollte zwei Jahre später für fünf Jahre seine „Heimat“ werden. Immerhin, Peter bekam erstmals einen Rollstuhl und konnte sich selbständig außer Haus bewegen. Durch die schlechte medizinische Betreuung handelte er sich in dieser Zeit eine kaputte Niere ein, ganz abgesehen von der erzwungenen Abhängigkeit unter den Heimbedingungen, denen er sich zu unterwerfen hatte.

Nach einem längeren Krankenhausaufenthalt verschlug es Peter Dietrich mit 21 Jahren ins Altersheim von Gudensberg ins Drei-Bett-Zimmer – vom Regen in die Traufe. Erst nach vier Jahren dort, mit massivsten Einschränkungen, konnte er in einen behindertengerechten Anbau ziehen, für den er lange gekämpft hatte. Währenddessen nahm die Sehbeeinträchtigung zu. 

Wenn er nicht schon längst vorhanden war, erwachte hier Peters Kämpfergeist. Er trat der SPD bei, wurde bei den Jusos aktiv und sogar als Ortsvorsitzender tätig. Zudem ließ er sich zum Heimbeirat wählen. Als begeisterter Leser erstritt er sich beim Landeswohlfahrtsverband ein Optacon, ein Lesegerät für Blinde, damals fast unbezahlbar. In Peters Sinne „unbezahlbar“ war es, weil es ihm möglich machte, seinen Horizont zu erweitern und die Sehnsucht nach allem, was ferne liegt, zu entwickeln. Die Behindertenbewegung oder andere Leidensgenossen kannte er da noch nicht.

Erst Ende der 70-erJahre verhalfen ihm eine Freundin und ein Zivi den Kontakt zum Club der Behinderten und ihrer Freunde e.V. in Kassel. Miit dem CeBeeF kam er erstmals zu Freizeit-Urlaubsreisen, trotz aller Hürden der Bahn und fehlender Hilfe.

1981 brachte für Peter paradoxerweise ein Unfall, bei dem er sich das Bein brach, eine entscheidende Wende. In der Werner-Wickert-Klinik in Wildungen traf er auf andere Rollstuhlfahrer, für die es selbstverständlich war, in der eigenen Wohnung zu leben, und die ihn für verrückt erklärten, im Altenheim auszuharren, Zudem machte ihn die erste richtige Reha, die er dort erhielt, weitaus handlungsfähiger im Alltag als bisher.

Die feste Absicht, nun in der Blindenstudienanstalt in Marburg das Abitur zu machen, traf auf entschiedenen Widerstand des Landeswohlfahrtsverbandes, der - dank Peters Hartnäckigkeit - nach Intervention an höchster Stelle überwunden werden konnte. 1983 durfte Peter, nach wiederholtem und energischen Nachweis seiner Leistungsfähigkeit, in Marburg in die 11. Klasse eintreten. Nur widerwillig ließ ihn das Altenheim gehen….

Erstmals kam er in den Genuss persönlicher Hilfen durch einen Zivi, lebte die gewachsene Freiheit nach Kräften aus – um dabei auf die Krüppelinitiative Marburg zu stoßen. An deren sozialpolitischen Aktionen zur Barrierefreiheit und Gleichstellt hat er bald persönlich aktiv mitgewirkt. Zugleich entwickelte er hier den Impuls, den letzten Schritt zur Selbständigkeit nach dem Abitur 1986 (also mit 40 Jahren!) gehen: Der Umzug aus dem Internat der Blista in eine eigene Wohnung unterstützt von Zivis des fib e.V.

Beflügelt von diesen positiven Umständen und einem Stipendium studierte Peter Dietrich nun Jura. Damit hatte er nun eilig und schrammte nach 11. Semestern 1993 knapp am Prädikatsexamen vorbei, absolvierte danach sein Referendariat in Marburg bis 1996. Aufgrund einer Initiativbewerbung bei der Bundesvereinigung Lebenshilfe wurde er dort vom Bundesgeschäftsführer, angetan von seinen Fähigkeiten als Jurist, gleich in den Rechtsabteilung eingestellt.

Fortan verfaßte er Stellungnahmen, referierte auf Tagungen, beriet Eltern behinderter Kinder. Immer wieder beeindruckte er durch seine Fachkenntnis, seine präzisen Analysen und Darstellungen komplexer Sachverhalte und vor allen Dingen durch die Ruhe und Gelassenheit, die er in vielen Beratungsgesprächen an den Tag legte, um damit Angehörigen behinderter Menschen Mut und Entschlossenheit mit auf den Weg zu geben. Empowerment im besten Sinne durch einen Experten in eigener Sache.

Je länger desto mehr engagierte er sich im fib e.V., vertrat für einige Jahre Jürgen Markus, um dann ab 2010 endgültig dessen Nachfolger als 1. Vorsitzender zu werden. Seine Expertise war für den Verein ein Glücksfall, seine Ruhe und Gelassenheit ein großer Gewinn.  So hat er über viele auch schwierige Entwicklungen als großartiger Ratgeber zur Seite gestanden, dem Verein wichtige Impulse und Hilfen in seiner strukturellen Entwicklung gegeben

Dabei vergaß er keinesfalls die Freuden des Lebens, auf die er so viele Jahre in seinem Leben hatte verzichten müssen. Kontakte, Freundschaften, gutes Essen und dazu vor allem: reisen, reisen, reisen – gerne lange und ausgedehnt, nun in der Realität statt auf dem Blindenatlas. Eindrucksvoll konnte er berichten, wie er sich exotische Länder durch Geräusche, Gerüche und Gerichte erschloss und alles ihm Fremde, wo immer möglich, durch Anfassen zu Be-Greifen. Dabei war er keinesfalls ängstlich und verzichtete gerne zugunsten des Abenteuers auf großartige Planung.

Mut und Entschlossenheit haben ihn stets ausgezeichnet und er hat nie aufgehört, sich für die Belange behinderter Menschen einzusetzen.  Dem Anspruch der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen, die auf persönliche Assistenz angewiesen sind, sah sich immer verpflichtet. Dabei blieb er stets integer, geduldig und lebensfroh, trotz aller oft unüberwindlich erscheinender Hürden.

So hat er einen eindrucksvollen Lebensweg genommen, war vielen anderen Helfer, Ratgeber und Vorbild.

Wir werden ihn sehr vermissen.

Aufsichtsrat, Geschäftsführender Vorstand und Mitarbeiter:innen
Verein zur Förderung der Inklusion behinderter Menschen - fib e.V.